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Udo Wortelboer über psychische Belastungen bei Mitarbeitenden
Führung & HR

Wie als Führungskraft mit psychisch belasteten Mitarbeitern umgehen?

Müde, gereizt, ausgelaugt: Job und Kinder können schon eine mentale Herausforderung sein. Kommen noch Krisen dazu, ist der mentale Stress vorporgrammiert. Wie Führungskräfte psychische Belastungen bei ihren Mitarbeiter*innen frühzeitig erkennen und ansprechen können.

„Je länger Stress andauert, desto mehr sinkt die kognitive Leistung des Mitarbeiters. Schuld daran ist das Hormon Cortisol, das bei Stress in großen Mengen ausgeschüttet wird", sagt Dr. Udo Wortelboer, Facharzt für Psychiatrie und Psychologie. "Gibt es keine Erholungspausen, kann es die Gehirnzellen angreifen, und in der Folge nehmen Erschöpfungszustände, Niedergeschlagenheit und Gedächtnisstörungen zu", warnt Wortelboer. Seit 2015 beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema psychische Gesundheit in der Arbeitswelt und berät im Auftrag des Work-Life-Balance-Anbieters pme Familienservice Führungskräfte und Teamleiter*innen in externen Unternehmen.

Drei Monate früher zurück an den Arbeitsplatz durch frühe Intervention

Unser Gesundheitssystem bietet im Hinblick auf die psychische Gesundheit allerdings kaum präventive Angebote. Wer einen Therapieplatz sucht, muss drei bis sechs Monate darauf warten. “Klinische Erfahrung und wissenschaftliche Daten zeigen aber, dass die Dauer bis zum Beginn einer Behandlung ein wesentlicher Faktor für den weiteren Verlauf der Krankheit ist. Das heißt, je früher eine erkrankte Person in Behandlung ist, umso besser stehen ihre Chancen auf Heilung”, weiß Wortelboer. Eine Auswertung aus 16 Studien hat die enormen Effekte einer frühen Intervention auf das psychische Wohlempfinden der Beschäftigten bestätigt. Mitarbeiter*innen, denen psychologische Hilfe von ihren Arbeitgebern angeboten wurde, sind im Durchschnitt 91 Tage früher an den Arbeitsplatz zurückgekehrt. Für Arbeitgeber bedeutet das, dass sie mit präventiven Unterstützungsmaßnahmen Fehlzeiten und Komplettausfälle ihrer Mitarbeiter*innen verhindern können.

Anzeichen bei Mitarbeiter*innen frühzeitig erkennen

„Wenn Mitarbeiter*innen, die sonst lebendig und sehr gesellig waren, plötzlich ruhig und verschlossen sind, dann sollten Führungskräfte genauer hinschauen“, rät Wortelboer. „Gibt es noch weitere Anzeichen und Veränderungen, die auf eine psychische Belastung hindeuten? Erledigt der Betroffene seine Aufgaben noch so gut wie zuvor? Oder ist er plötzlich unzuverlässig und verpasst sogar Telefontermine? Teamleiter*innen, die während der Krise mit ihren Mitarbeiter*innen nur telefonieren, sollten auf die Stimmlage achten. Hat sie sich verändert und klingt bedrückter? Das alles können Anzeichen sein, dass die Person unter Stress steht“.

Ansprechen, aber keine Diagnosen stellen

Führungskräften, die Veränderungen und Belastungen bei ihren Mitarbeiter*innen wahrnehmen, rät der Führungskräfte-Coach so schnell wie möglich ein offenes Gespräch mit den betroffenen Personen zu suchen. „Dabei ist es wichtig, neutral zu bleiben und keine psychologischen oder medizinischen Diagnosen zu stellen. Führungskräfte sollten nur das ansprechen, was sie wahrnehmen, wie zum Beispiel: ´Du bist gestern im Webinar sehr laut geworden. Das kenne ich gar nicht von dir. Was hat dich denn betroffen?`. Dabei kann es durchaus helfen, zu fragen: „Was ist dein Bedürfnis? Was erwartest du von mir als Führungskraft und wie kann ich unterstützen?“.

Bevor Führungskräfte eine/n Mitarbeiter*in auf ihr verändertes Verhalten ansprechen, sollten sie laut Wortelboer folgende Fragen für sich beantworten:

  • Gibt es organisatorische, inhaltliche oder hierarchische Faktoren, die eine Veränderung bei dem/der Mitarbeiter*in erklären können?
  • Könnten Kolleg*innen aus dem Team unterstützen?
  • Ist es gut, wenn ich das als Führungskraft anspreche? Welches Verhältnis habe ich zu der Person, und wie viel Vertrauen ist da?
  • Wie kann ich als Führungskraft helfen?
  • Haben wir Hilfen und Personen im Unternehmen, wie z.B. ein Employee Assistance Program, die der oder die Mitarbeiter*in nutzen kann, wie beispielweise ein Stressmanagement oder eine Konfliktberatung bei privaten und beruflichen Problemen?

4 Tipps für Führungskräfte: Führen aus dem Home Office

1. Vermitteln Sie Sicherheit und seien Sie transparent

Wichtig ist, dass sie als Führungskraft nicht um den heißen Brei reden. Seien sie klar und realistisch. Fahren Sie auf Sicht und gehen Sie nur auf Probleme ein, die absehbar sind. Versprechen Sie nichts, was Sie nicht einhalten können. Reden Sie Probleme aber auch nicht klein. Überlegen Sie sich genau, was Sie Ihrem Team mitteilen wollen.

2. Wer sind Ihre Mitarbeiter*innen? Nehmen Sie private Umstände in den Blick

Wer ist Ihr Mitarbeiter, und gibt es Faktoren auf persönlicher Ebene, die vor allem jetzt in der Krise schwierig sein könnten. Wie ist die Wohnsituationen Ihrer Mitarbeiter*innen? Wer hat Familie, wer lebt alleine? Wer wohnt in der Stadt und wer auf dem Land mit großem Garten? Fragen Sie Ihre Mitarbeiter*innen auch, wie es ihnen geht und ob sie noch etwas brauchen, um im Homeoffice besser arbeiten zu können.

3. Ersetzen Sie die fehlende analoge Kommunikation durch digitale

Prüfen Sie auch auf beruflicher Ebene, ob sich etwas verändert hat, was eine Belastung für einzelne Mitarbeiter*innen sein könnte: Arbeitet Ihr Team schon immer virtuell? Oder sind diese Strukturen jetzt völlig neu? Ist das eine neue Art zu arbeiten, dann ist es wichtig, die fehlende analoge Kommunikation durch eine digitale zu ersetzen und regelmäßige kurze Teambesprechungen zu organisieren. Am besten per Webinar mit Video, so dass sich die Teilnehmer*innen sehen können. Auch eine digitale Kaffeerunde, um über Privates zu sprechen, kann für viele die fehlende „echte“ Kommunikation von Angesicht zu Angesicht ersetzen und die Teamstruktur aufrechterhalten.

4. Motivieren Sie Ihre Mitarbeiter*innen, neue Techniken auszuprobieren

Mitarbeiter*innen, die sich mit virtueller Kommunikation und neuen technischen Tools schwertun, sollten an die Hand genommen werden. Nicht alle Menschen gehen mit Veränderungen gleich um. Warum sollte Bewährtes aufgegeben werden, wenn es doch immer funktioniert hat? Nehmen Sie unsicheren Mitarbeiter*innen ihre Bedenken, indem Sie ihnen in Ruhe zeigen, wie beispielsweise ein Webinar funktioniert und welchen Nutzen es hat.
 

Dr. Udo Wortelboer, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, hat bis 2017 in leitender Funktion in einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie gearbeitet. Seit 2015 beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema psychische Gesundheit in der Arbeitswelt. Heute ist er unter anderem beratend in einem arbeitsmedizinischen Zentrum sowie für den pme Familienservice tätig.

 

 

Quelle Studien:
  • Nigatu, Y.T., et al. (2019): Indicated Prevention Interventions in the Workplace for Depressive Symptoms: A Systematic Review and Meta-analysis: American Journal of Preventive Medicine 56(1): e23-e33.
  • Reifferscheid, A., ett al. (2019): Rückkehr an den Arbeitsplatz nach depressiver Erkrankung - Evaluation einer retrospektiven Fall-Kontroll-Studie eines betriebsnahen integrierten Versorgungsmodells. Fortschr Neurol Psychiatr 87(02):121-127.

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