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Sexuelle Belästigung im Home Office
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Sexuelle Belästigung im Home Office: Was Sie tun können

Anstieg sexueller Belästigung im Home-Office während der Pandemie

Die Frauenrechtsorganisation „Rights of Women“ führte Ende 2020 in Großbritannien eine Umfrage durch, um Informationen über die Erfahrungen von Frauen mit sexueller Belästigung im Büro und im Home-Office zu sammeln.

Die Umfragedaten zeigen, dass Frauen während der Covid-19-Pandemie trotz Distanzarbeit häufiger von sexueller Belästigung betroffen waren.

  • 45% der Frauen, die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt haben, berichteten, dass sie diese online erlebt haben. Genannt wurden dabei: sexuelle Belästigung über Nachrichten (z. B. E-Mail, soziale Medien), Video- oder Telefonanrufe.
  • 15% der Frauen, die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt haben, berichteten von einer Zunahme der Online-Belästigung während des Home-Office in der Covid-19-Pandemie.
  • Einige Frauen kritisieren, dass sie ihren Arbeitsplatz ins Schlafzimmer verlagern mussten und sich dadurch in ihrer Privatsphäre verletzt fühlen. Oder dass sie während Videokonferenzen fotografiert wurden, um sie hinsichtlich sexueller Handlungen zu verspotten.
  • 72% der Frauen, die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt haben, haben das Gefühl, dass ihr Arbeitgeber nicht genug tut, um sie vor Belästigung und Missbrauch zu schützen und/oder zu unterstützen.
  • 29% der Frauen, die ihrem Arbeitgeber sexuelle Belästigung gemeldet haben, berichteten, dass die Reaktion durch die Covid-19-Pandemie negativ beeinflusst wurde.

    Die Ergebnisse der Untersuchung richten den Fokus auf Missstände in der modernen Arbeitswelt:

  • Frauen sind vor sexueller Belästigung im Home Office nicht ausreichend geschützt.
  • Der Zugang von Frauen zu Recht und Sicherheit vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz wird durch Distanzarbeit negativ beeinflusst.

Ab wann ist es Belästigung? Und was kann ich gegen sexuelle Belästigung im Home Office tun?

Im Interview erklärt pme-Sozialpädagogin und Beraterin Petra Krämer, wie sich Opfer schützen können und welche Maßnahmen Arbeitgeber:innen ergreifen sollten.

Ab wann spricht man von sexueller Belästigung im Allgemeinen und im virtuellen Raum?

Petra Krämer: Laut der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist “jedes sexualisierte Verhalten, das von der betroffenen Person nicht erwünscht ist, sexuelle Belästigung. Dazu zählen nicht nur verbale und physische Belästigungen wie sexualisierte Sprüche oder unerwünschte Berührungen, sondern auch nonverbale Formen wie anzügliche Blicke oder das Zeigen pornographischer Bilder.”

Grundsätzlich schützt das Allgemeine Gleichstellungsgesetz Menschen, wenn der Vorfall objektiv einen sexuellen Charakter hat und die betroffene Person dies als Belästigung einordnet. Die Reaktion, dass das Verhalten so nicht gemeint war, gilt somit nicht.

Kann ich mich im direkten oder im virtuellen Kontakt vor sexueller Belästigung schützen? Wenn ja, wie?

Aus meiner Sicht kann ich mich auf unterschiedliche Arten schützen: 

Im Büro und damit im direkten Kontakt kann ich unmittelbar reagieren, wenn ich selbst oder andere betroffen sind. Zunächst kann es helfen, in der Alltagssprache sexualisierte Sprüche und Verhaltensweisen nicht zu tolerieren und unmittelbar Position zu beziehen. Vermeintlich harmlose “Späße” sollten bereits angesprochen werden, sobald ich mich unwohl fühle. Die eigene Wahrnehmung ist hier ein wichtiger Gradmesser. Insgesamt ist eine Arbeitsatmosphäre frei von Belästigung anzustreben und das auf allen Ebenen, in Bezug auf Vorgesetzte, Kollegen und Kunden.

Online ist es sicherlich hilfreich, die eigene Privatsphäre zu schützen. Dies kann auf der einen Seite geschehen, indem man Hintergrundbilder nutzt und die Computerkamera abdeckt. Auf der anderen Seite geht es um die persönliche Abwägung: Welche Sozialen Medien nutze ich, welche Bilder und Videos poste ich dort, insbesondere im Hinblick auf die verschiedenen Datenschutzbestimmungen der genutzten Kanäle? 

In Zeiten der Pandemie haben manche Unternehmen Ad-hoc-Lösungen gefunden. Es gilt jedoch zu überlegen, ob diese weiterhin Bestand haben sollten, beispielsweise die dienstliche Nutzung von WhatsApp-Gruppen. Das private Mobiltelefon und somit die private Nummer sollte aus meiner Sicht privat bleiben.

Laut dem Bericht hat sexuelle Belästigung während der Pandemie stark zugenommen. Ein Viertel der Befragten berichtete, dass sie sogar eskaliert sei. Warum begünstigt der Corona-Lockdown dieses Verhalten?

Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berichtet über einen sprunghaften Anstieg der Beratungsanfragen zu diesem Thema. Ich denke, dass die Pandemie für viele Menschen eine Ausnahmesituation war und genauso wie im Netz insgesamt eine gefühlte Anonymität herrscht. Mensch sitzt alleine zu Hause und fühlt weniger die soziale Kontrolle der Kolleg:innen und Vorgesetzten. Die meist stabilisierende frühere Alltagsstruktur löste sich für viele auf. Dies verleitete wohl manchen zu übergriffigem Verhalten und Grenzüberschreitungen.

Die Betroffenen beklagen, dass es durch Remote-Arbeit noch schwieriger geworden ist, einen Vorfall unverzüglich bei der Personalabteilung zu melden. Wie kann man sich am schnellsten Hilfe holen?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, am Arbeitsplatz um Unterstützung zu bitten. Jede/r Arbeitgeber:in ist verpflichtet, hier Strukturen aufzubauen. Eine Beschwerdestelle kann intern oder extern fungieren. So bietet der pme Familienservice beispielsweise für einige Unternehmen den Dienst der Beschwerdestelle an. Wir beraten betroffene Menschen und planen die nächsten Schritte.

Sollte der/die Mitarbeiter:in sich zu einer offiziellen Beschwerde entschließen, muss der/die Arbeitgeber:in dies prüfen und entsprechende Maßnahmen einleiten. Auch Vorgesetzte oder Betriebsrat sollten für diese Themen ansprechbar sein.

Was sollten Führungskräfte oder Personaler veranlassen, um Betroffene im Unternehmen zu schützen und Täter zu sanktionieren?

Zunächst ist Prävention wichtig. Im Unternehmen sollte Prävention als Teil des Arbeits- und Gesundheitsschutzes gelebt werden. Dies beginnt bei Broschüren und Plakaten und entsprechenden Infos im Intranet mit der Nennung möglicher Ansprechpartner im Unternehmen.

Hilfreich ist ein genauer Ablauf, mit wem Betroffene erste Gespräche führen können und wie gegebenenfalls eine Beschwerde geführt werden kann. Jeder Einzelfall ist objektiv zu prüfen, und es sind geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Diese können von Er- oder Abmahnungen über Versetzungen bis hin zu Kündigungen reichen. Hier sind juristische Beratungen sicherlich sinnvoll.

Welche psychischen Folgen können bei sexueller Belästigung auftreten?

Die Folgen können ganz unterschiedlich sein. Meistens sind Gefühle von Ekel, Empörung, Erstarrung und Verunsicherung die erste Reaktion. Manche Betroffene fragen sich, ob sie den Täter eingeladen haben, sich übergriffig zu verhalten. Dies kann zu Scham und Schuldgefühlen führen.

Wie können Betroffene einen Vorfall sexueller Belästigung für sich verarbeiten?

Eine Auseinandersetzung mit dem Erlebten ist sicherlich sinnvoll. Gespräche mit Fachpersonen in Beratungsstellen oder Therapeuten können Raum bieten, um das Erlebte aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und sich selbst als handelnde Person statt als Opfer zu erleben. Letztlich sollte das Erlebte als Teil der eigenen Geschichte abgelegt werden können, aus dem man vielleicht sogar gestärkt herausgeht. 

Traumatisierte Menschen reagieren mit einem “Notprogramm”, das im Alltag jedoch häufig Schwierigkeiten aufwirft. Hier sind in jedem Fall Therapeuten zur Unterstützung gefragt.

Weiterführende Informationen:


​​​​​​​​Petra Krämer ist Sozialpädagogin, systemische Beraterin und seit 2019 an der Lebenslagen-Hotline und im Lebenslagen-Orga-Team tätig.

 

 

 


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