Eine Frau formt mit ihren Händen ein Herz vor der Brust und lacht dabei
Führung & HR

Liebe & Sexualität: Warum HR darüber sprechen sollte

In einer Welt, in der psychische Belastungen und Work-Life-Balance im Fokus stehen, bleibt das Thema Liebe und Beziehung oft unerwähnt. Es ist an der Zeit, diese essenziellen menschlichen Bedürfnisse aus der HR-Tabu-Zone zu holen.

Wir sprechen am Arbeitsplatz heute über psychische Belastungen, mentale Gesundheit, über Vielfalt und Work-Life-Balance. Wir machen Coaching, Achtsamkeitstrainings und Diversity-Schulungen. Doch ein Thema bleibt merkwürdig ausgeklammert: Liebe, Nähe, Beziehung und Sexualität.

Dabei ist das Thema präsent. Jeden Tag. Auch bei der Arbeit: Menschen trennen sich. Suchen verzweifelt nach Lebenspartner:innen. Verlieben sich. Gehen „fremd“. Sind überfordert mit ihrer Libido – oder vermissen sie schmerzlich. Manche sehnen sich nach Verbindung, andere verstecken ihre Beziehung, weil sie nicht ins Bild passt. Unsere Paarbeziehungen stehen nicht selten unter großem Druck oder existieren nicht.

Liebe, Beziehung & Sexualität: Das letzte große HR-Tabu? 

“Diese Themen müssen uns als Arbeitgeber interessieren”, sagt Alexa Ahmad, Geschäftsführerin der pme Familienservice Gruppe. “Natürlich können wir nicht unaufgefordert das Sexualleben deiner Leute hinterfragen. Das geht zu weit und ist auch nicht zulässig. Aber wir können es nicht einfach negieren. Es ist nicht nur der drohende Burnout, das kranke Kind oder der pflegebedürftige Angehörige, der einem Teammitglied zu schaffen macht. Zunehmend sind es auch Themen wie Einsamkeit oder ein unerfüllter Kinderwunsch. Das kann Menschen stark belasten und führt auch zu Lebenskrisen.” 

Einsamkeit macht krank – und ineffizient. Urmenschliche Themen wie Einsamkeit sind nicht nur ein gesellschaftliches, sondern auch ein ökonomisches Problem. Menschen, die sozial isoliert sind, zeigen laut Gallup-Studie geringeres Engagement, machen häufiger Fehler und sind weniger loyal gegenüber ihrem Arbeitgeber („State of the Global Workplace 2024“).

„Von Einsamkeit betroffen sind statistisch gesehen genau die, die wir gerade einstellen, nämlich junge Menschen unter 30. Am schlimmsten leiden die 18 bis 25-Jährigen an Einsamkeit, das hat mich schockiert. Sie ziehen gerade von zu Hause aus, werden selbstständig und kommen abends in eine leere Wohnung“, sagt Alexa Ahmad.

„Firmen können für diese jungen Menschen Angebote machen, „Eine herzliche und offene Unternehmenskultur, Feste feiern oder Teambuliding hilft sehr, dass Gemeinschaftsgefühl und die Verbundenheit untereinander zu stärken. Auch flexible Arbeitsmodelle und tolle Sportangebote können Unternehmen bieten, so dass junge Mitarbeiter:innen außerhalb der Arbeitszeit Kontakte knüpfen können."
 

 

Die Firma als Partnervermittlung?

Unternehmen können Menschen auch dabei helfen, eine passende:n Partner:in zu finden. In Japan stellen Firmen ihren Mitarbeitenden schon exklusive Dating-Apps zur Verfügung. In Deutschland zahlen Arbeitgeber wie RWE inzwischen Rabatte auf Tinder & Co. – zur Förderung von sozialem Wohlbefinden und Mitarbeiterbindung. 

„Ich träume seit vielen Jahren von der Entwicklung einer eigenen Dating-App, in der sich die Teammitglieder mit ihrer Firmenadresse anmelden, so dass mehr Transparenz und Verbindlichkeit in den Dating-Prozess kommt. Vielleicht ist die Zeit jetzt auch in Deutschland reif dafür“, sagt Alexa Ahmad. 

Auch Benefits wie eine Paartherapie oder Partnerschaftsberatung könnten bald so selbstverständlich sein wie Rückenschule oder Teamcoaching. „Unser Portfolio bietet solche Angebote seit vielen Jahren. Bei uns beraten systemische Familientherapeut:innen und Paarcoaches, wenn es im Liebesleben kriselt“, sagt Alexa Ahmad. „Arbeitgeber:innen profitieren enorm davon, wenn Menschen bei solchen Herausforderungen leicht zugänglich und kostenfrei Unterstützung erhalten. Sie sehen wieder klarer und nebenbei fühlen sie sich umsorgt.“ 

Positive Beziehungen verbessern die Jobperformance

Unternehmen profitieren auch dann unmittelbar, wenn es ihren Mitarbeiter:innen auf der Beziehungsebene richtig gut geht. Denn was viele als Gegensatz erleben – gute Beziehung versus beruflicher Erfolg – ist in Wahrheit oft eine Verstärkung. Studien zeigen: Menschen mit stabilen, unterstützenden Beziehungen sind produktiver, zufriedener und resilienter.
 

Partnerschaft, Familie und Freunde können das Glücksempfinden fördern

Die Harvard Study of Adult Development ist eine der längsten Langzeitstudien weltweit und verfolgt seit 1938 das Leben von über 700 Menschen, um herauszufinden, was ein glückliches, gesundes und erfülltes Leben fördert.

Zentrales Ergebnis: Gute, verlässliche Beziehungen zu Partner:innen, Familie und Freunden sind der wichtigste Prädiktor für langfristige körperliche und seelische Gesundheit – weit vor Reichtum oder beruflichem Erfolg.


Quelle: https://www.lifespanresearch.org/harvard-study

 

Gute Beziehungen fördern die Führungsqualitäten, reduzieren das Burnout-Risiko und stärken das Selbstvertrauen. Entscheidend ist dabei nicht nur, dass Menschen in einer Beziehung sind – sondern wie diese gestaltet ist. Wer gemeinsam mit dem Partner oder der Partnerin Ziele teilt und sich gegenseitig stärkt, hat bessere Chancen, sie zu erreichen. Erfolg beginnt also nicht im Büro, sondern zu Hause.

Eine Analyse von über 12.000 Führungskräften zeigte: Wer gut im Aufbau und in der Pflege von Beziehungen ist, hat in der Regel auch stärkere Fähigkeiten in Bereichen wie Zielorientierung, Problemlösung, Integrität und der Motivation anderer. Gute soziale Fähigkeiten wirken damit wie ein Verstärker für Leistung – sie verbessern nicht nur die Zusammenarbeit, sondern tragen spürbar zur individuellen Wirksamkeit und Führungskompetenz bei. 

Quelle: https://www.forbes.com/sites/joefolkman/2023/07/20/the-interaction-between-peak-performance-and-relationship-building-skills​​​​​​​ 

"Je stärker die Bindung, desto klarer der Fokus"

„In meinen Führungskräfte-Coachings wird immer wieder die Beziehung zum Thema. Je erfüllter die Führungskraft ihr Liebesleben empfindet, umso gefestigter wirkt sie in ihrer Führung. Das ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass der Kopf einfach frei ist für berufliche Themen“, sagt Carline Krügl, Leiterin der pme Akademie in München und Paar- und Führungskräftecoachin. "Die Liebe ist wie ein unsichtbarer Faden, der unsere beruflichen Ambitionen mit den Emotionen unserer Beziehungen verknüpft – je stärker die Bindung, desto klarer der Fokus."

Menschen dabei zu unterstützen, gesunde Beziehungen zu führen – sowohl in im privaten als auch im beruflichen Kontext – kann also einen direkten Effekt auf das Wohlbefinden und damit auch auf die Arbeitsleistung haben. Unternehmen können hier unterstützen, sei es durch Angebote wie Paarberatung, Aufklärungsarbeit in Vorträgen und durch eine offene Gesprächsatmosphäre

Entscheidend sind Führungskräfte, die wertschätzend und offen kommunizieren – also so etwas wie gute Beziehungspartner:innen sind. Sie können ihre Mitarbeiter:innen dabei unterstützen, sich zu entfalten, Stärken zu entwickeln und gemeinsame Ziele zu erreichen.

Libido vs. Leistungsdruck:  Sex als Leistungsbooster?

Nicht nur die Qualität der Beziehungen, die ein Mensch führt, hat positiven Einfluss auf das Arbeitsleben. Auch ein erfülltes Liebesleben steigert die Motivation im Job. Laut einer US-Studie wirkt Sex wie ein natürliches Antidepressivum mit Effekten, die bis zu 24 Stunden anhalten können – also weit in einen Arbeitstag hineinreichen. 

Soweit die Theorie. In der Praxis sind Sexualität und Libido für viele Menschen ein komplexes Thema, über das oft nicht ausreichend kommuniziert wird. Wer nicht gerade frisch verliebt ist, hat nicht selten das Gefühl, zu wenig Sex zu haben oder die Lust darauf verloren. Oft ist ein hohes Arbeitspensum der Grund. Wer ständig erschöpft ist, hat keinen Bock. Weder auf Sport noch auf Bewegung und geschweige denn auf Sex. Chronischer Stress, Überstunden, Druck und emotionale Erschöpfung schlagen direkt auf das Sexualleben.

Überlastung im Job senkt nachweislich die Libido

„Burnout ist nicht nur ein Karriererisiko, sondern auch ein Libidokiller“, sagt Carline Krügl, Leiterin der pme Akademie München und systemische Paarberaterin. „Unternehmen können durch flexible Arbeitszeiten und -orte sowie Programme zur mentalen Gesundheit dazu beitragen, Stress zu reduzieren und Raum für ein erfülltes Liebesleben zu schaffen. Zudem können Bildungsangebote zu Themen wie Sexualität und Beziehungen Tabus brechen und die Lebensqualität der Beschäftigten steigern“.

Carline Krügl ergänzt: „Es ist wichtig, das Bild, das viele Menschen vom Thema Sex haben, gerade zu rücken. In Filmen, in der Werbung oder in Pornos erscheint das Liebesleben als eine Art Leistungssport durchtrainierter junger Körper. Doch Sex ist keine ‚Performance‘, sondern bestenfalls eine hochsensible, lustvolle Begegnung zwischen zwei Menschen“.

Um das verzerrte Bild auf Liebe und Sexualität zu ändern, müssen wir den Druck der ständigen ‚Performance‘ aus dem Schlafzimmer nehmen und eine Kultur der Offenheit und Akzeptanz schaffen, in der echte Begegnungen und Empathie im Vordergrund stehen. „Das intime Miteinander sollte nicht als Aufgabe auf der To-do-Liste gesehen werden, sondern als wertvolle Zeit für gegenseitige Wertschätzung und Freude“, sagt Krügl.

Japan: Nähe, Beziehung und Sex sind systemrelevant 

Ein Blick nach Japan zeigt, wohin enormer Arbeitsdruck eine Gesellschaft führen kann: Einsamkeit, historisch niedrige Geburtenraten und ein ganzer Industrie- und Dienstleistungssektor, der sich auf das Single-Dasein ausrichtet: Produziert werden Sexspielzeuge für Alleinstehende, Silikonpuppen als Ersatz für Ehepartnerinnen  und digitale Welten voller erotischer Manga-Heldinnen. 

Es gibt Agenturen, die junge Männer für Spaziergänge am Nachmittag verleihen und Kuschelcafes, in denen Männer viel Geld bezahlen, um minutenweise im Arm einer jungen Frau zu liegen. Das urmenschliche Bedürfnis nach Nähe wird zur Ware.  

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Die Stadt Tokio versucht den demografischen Auswirkungen beizukommen, indem sie für ihre Verwaltungsangestellten seit April 2025 eine freiwillige Vier-Tage-Woche anbietet, um vor allem berufstätige Eltern zu entlasten und die Geburtenrate anzukurbeln. Zusätzlich sollen Eltern mit Kindern im Grundschulalter früher Feierabend machen können – gegen einen teilweisen Gehaltsverzicht.

Quellen: https://www.nippon.com/en/japan-data/h02171/white-paper-on-overwork-in-japan-shows-record-rise-in-recognized-work-related-mental-healt.html

https://edition.cnn.com/2024/12/06/asia/tokyo-government-4-day-workweek-intl-hnk/index.html​​​​​​​

 https://www.zdf.de/play/dokus/liebe-und-sex-in-100/liebe-und-sex-in-japan-flucht-vor-der-einsamkeit-100 

Führungskräfte haben. großen Einfluss auf das Gefühl von Einsamkeit

Laut dem „State of the Global Workplace 2024“ von Gallup fühlen sich 20 Prozent der Beschäftigten häufig oder ständig einsam – bei Remote-Arbeitenden sind es sogar 25 Prozent. Doch nicht das Homeoffice ist die Hauptursache: Entscheidend ist, ob Mitarbeitende sich emotional eingebunden fühlen.

Engagierte Mitarbeitende erleben laut Gallup 64 Prozent seltener Einsamkeit. Das zeigt: Gute Führung und soziale Verbundenheit sind entscheidender als der Arbeitsort. Laut dem Gallup-Bericht sind Führungskräfte in der Pflicht, soziale Verbundenheit im Team aktiv zu fördern. Nicht der Arbeitsort, sondern fehlende emotionale Einbindung lässt Einsamkeit entstehen – und hier hat Führung großen Einfluss.

Quelle: „State of the Global Workplace 2024“ ​​​​​​​

 

Psychologische Sicherheit im Umgang mit persönlichen Themen

Sprechen wir über Themen wie Liebe, Beziehungen oder Einsamkeit, bewegen wir uns in einem sensiblen Bereich, der oft als „privat“ gelabelt ist und genau deshalb in vielen Arbeitskontexten außen vor bleibt. Was braucht es, damit sich das ändert? 

„Über private Themen offen zu sprechen, erfordert großes Vertrauen in das Gegenüber und ein hohes Maß an psychologischer Sicherheit“, sagt Darina Doubravová, Leiterin der zentralen Work:life-Akademie der pme Familienservice Gruppe. „Mitarbeitende müssen das Gefühl haben, dass sie sich öffnen dürfen – ohne Angst vor Verurteilung, Konsequenzen oder Bloßstellung. Führungskräfte spielen hier eine Schlüsselrolle, indem sie selbst Offenheit vorleben und persönliche Themen nicht abwerten, sondern ernst nehmen.“
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Es braucht keine "therapeutischen Gespräche" im Büro, aber ein Arbeitsumfeld, in dem Menschen keine Angst haben, Mensch zu sein. HR und Führungskräfte haben die Verantwortung, dieses Klima aktiv zu fördern – durch Haltung, Sprache und Strukturen.

Wie können Personalverantwortliche und Führungskräfte hier gezielt unterstützen:

1. Einzelgespräche gezielt nutzen

In 1:1-Gesprächen kann dafür ein Raum geschaffen werden. Eine einfache Frage wie „Wie geht es dir gerade – auch außerhalb der Arbeit?“ kann ein Türöffner sein. HR kann hier als Sparringspartner für Führungskräfte fungieren, wie man solche Gespräche sensibel führt.

2. Teamrunden bewusst gestalten

3. Auch im Teamkontext kann psychologische Sicherheit gefördert werden – etwa durch regelmäßige Check-ins oder Formate wie "Stimmungsrunden", in denen persönliche Befindlichkeiten Platz haben. Wichtig ist, dass niemand gezwungen wird, aber alle wissen: Du darfst hier auch als Mensch auftauchen.

4. Führungskräfte sensibilisieren

HR sollte aktiv dazu beitragen, Führungskräfte dafür zu sensibilisieren, dass private Themen wie Einsamkeit, Liebeskummer oder familiäre Belastungen reale Auswirkungen auf das Arbeitsleben haben – und deshalb auch relevant für Führung sind. Eine offene Haltung kann dabei nicht nur das Vertrauen stärken, sondern auch präventiv wirken, z. B. im Kontext mentaler Gesundheit.

Beziehungspflege als Teil moderner HR

Liebe und Sexualität gehören nicht in die Personalakte. Aber sie gehören berücksichtigt – in einer reflektierten, inklusiven und fürsorglichen HR-Kultur. HR muss keine Fragen nach dem Sexleben stellen. Aber HR kann Räume schaffen, in denen Beziehungsthemen nicht als peinlich oder privat abgewertet werden. Und sie kann mit dafür Sorge tragen, dass am Arbeitsplatz Verbundenheit gelebt werden kann und dass die Arbeitslast nicht so hoch ist, dass die Lebenslust darunter leidet. 

Sie kann neue Wege der Kommunikation gehen und Ideen liefern, wie diese in den Teamalltag implementiert werden können. Sie kann ein offenes Ohr haben für die urmenschlichen Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen und mit für Lebensfreude und Wohlbefinden sorgen.

Führungskräfte müssen kein Privatleben moderieren, aber sie können gute Bedingungen für Zusammenhalt schaffen: durch persönliche Gespräche, Wertschätzung, Teamrituale (auch remote), und gezielte Stärkenförderung. Sie müssen keine Freund:innen sein, aber sie sind mitverantwortlich für die Qualität der Beziehungen im Team. Ihre Aufgabe dabei: Verbindungen ermöglichen – nicht erzwingen.

Gute Führung erkennt an, dass Menschen auch jenseits des Büros existieren. Und liebt nicht die Leistung – sondern den Menschen.