
Cortisol Detox: Gefährlicher Social Media-Trend?
Bauchfett, müde Haut, Haarausfall – die Ursache soll ein einziges Hormon sein: Cortisol. Auf TikTok propagieren Influencer eine sogenannte „Cortisol-Detox“-Kur, die das Stresshormon senken und über Nacht für mehr Schönheit und Wohlbefinden sorgen soll. Klingt verlockend. Doch was steckt wirklich dahinter? Ist „Cortisol-Detox“ der Schlüssel zu einem gesünderen, stressfreieren Leben oder nur ein weiterer fragwürdiger Internet-Hype? (Text: Michèle Penz/Felix Aguntius, Redaktion: Christin Müller)
Ein Social Media Trend mit Fragezeigen
Die Idee hinter dem viralen TikTok-Trend: Ein zu hoher Cortisolspiegel soll körperliche Beschwerden wie Gewichtszunahme, Haarausfall, Müdigkeit und Hautprobleme verursachen. Influencer empfehlen Detox-Kuren mit Diäten, Nahrungsergänzungsmitteln und Entspannungstechniken, um das Hormon zu „entgiften“.
Diese Methoden sollen den Cortisolspiegel senken und so das körperliche Wohlbefinden steigern. Medizinische Fachleute sehen den Trend jedoch kritisch: Zwar könne ein zu hoher Cortisol-Spiegel, beispielsweise in Folge von chronischem Stress gesundheitsschädlich sein, doch ist Cortisol ein lebenswichtiges Hormon, das zahlreiche Körperfunktionen reguliert. Ein pauschales „Entgiften“ sei daher nicht nur überflüssig, sondern potenziell irreführend.
Was ist Cortisol – und warum brauchen wir es?
Cortisol ist ein lebenswichtiges Hormon, das in der Nebennierenrinde produziert wird. Es spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulierung von Stoffwechselprozessen, der Immunreaktion und der Stressbewältigung. Cortisol wird oft als „Stresshormon“ bezeichnet, weil es in Reaktion auf Stresssituationen ausgeschüttet wird. Es hilft dem Körper, Energie bereitzustellen, indem es den Blutzuckerspiegel erhöht und die Energieproduktion in den Zellen anregt, Entzündungen zu regulieren und den Stoffwechsel sowie den Schlaf-Wach-Rhythmus zu steuern. Morgens ist der Cortisolspiegel am höchsten, abends sinkt er natürlicherweise. Entscheidend ist die Balance – nicht das Streben nach „so wenig wie möglich“.
Stressreaktion: Wenn unser Körper aufgrund von Stressoren über die initiale „Fight or Flight“-Reaktion leistungsfähig und alarmbereit sein muss nutzt unser Gehirn die Ausschüttung von Cortisol.
Stoffwechselregulation: Cortisol beeinflusst den Kohlenhydrat-, Fett- und Eiweißstoffwechsel, um sicherzustellen, dass genügend Energie zur Verfügung steht.
Immunsystem: In moderaten Mengen wirkt Cortisol entzündungshemmend und hilft, das Immunsystem zu regulieren.
Regulation unseres Schlaf-Wach-Rhythmus: Cortisol ist der Gegenspieler des schlaffördernden Hormons Melatonin. Unser Cortisolspiegel steigt innerhalb der Morgenstunden auf natürlichem Wege an, damit wir wach und leistungsfähig sind.
Wie verhält sich Cortisol im Verlauf des Tages?
Der Cortisolspiegel unterliegt natürlichen Schwankungen, die durch unseren Schlaf-Wach-Rhythmus beeinflusst werden.
Morgens, kurz nach dem Aufwachen, ist der Cortisolspiegel am höchsten, um den Körper auf den Tag vorzubereiten. Im Laufe des Tages sinkt der Spiegel und erreicht in der Nacht seinen niedrigsten Punkt.
Die Referenzwerte liegen bei Erwachsenen zwischen 133–537 nmol/l in der Morgenblutentnahme (7 bis 10 Uhr) und 68-327 nmol/l in der Abendblutentnahme (16 – 20 Uhr).
Tipp: Liegt dein Cortisolwert über oder unter dem Normbereich, lassen Sie sich davon nicht verunsichern. Sprechen Sie mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt darüber, denn einzelne Laborwerte sind häufig nicht aussagekräftig, da sie als Momentaufnahme verstanden werden. Stattdessen sollten diese im Zusammenhang mit anderen Werten und im zeitlichen Verlauf beurteilt werden.
Wenn das körpereigene Cortisol zu hoch oder zu niedrig ist
Stressfaktoren, wie körperliche Anstrengung oder emotionale Belastungen, können zu kurzfristigen Erhöhungen des Cortisolspiegels führen. In der Regel normalisiert sich der Cortisolspiegel nach einem Anstieg wieder von selbst. In sehr seltenen Fällen - bei einer zugrundeliegende Erkrankung - kann der Körper zu viel körpereigenes Cortisol produzieren.
Ein dauerhafter hoher Cortisolspiegel (Hypercortisolismus) wird als Cushing-Syndrom bezeichnet. Häufige Symptome eines Cushing-Syndroms sind:
- Gewichtszunahmen an dünnen Extremitäten
- Symptomatik eines „Mondgesichts“
- Narbenähnliche Streifen in der Haut (Striae)
- Akne
- Diabetes
- Zyklusstörungen und vermehrter Haarwuchs bei Frauen
Jedoch kann nicht nur erhöhtes Cortisol zu negativen Symptomen für unseren Körper führen. Ist unser Cortisolspiegel zu niedrig kann das lebensbedrohliche Auswirkungen haben:
- Leistungsabfall, Müdigkeit.
- Schwächegefühl.
- Übelkeit und Erbrechen.
- Niedriger Blutdruck.
Dementsprechend sollte nicht das Ziel sein, den eigenen Cortisolspiegel auf ein Minimum zu senken, sondern eine gesunde Balance zu schaffen.
Cortisol-Detox in Social Media: Was steckt hinter den Methoden?
Wir haben vier besonders populäre Methoden sowie zwei verbreitete Mythen einem Realitätscheck unterzogen:
1. Nahrungsergänzungsmittel und Detox-Drinks
Was behauptet wird: Supplements wie Ashwagandha, Magnesium, Maca oder sogenannte Adaptogene sollen helfen, Cortisol zu regulieren und Stress abzubauen. Oft werden sie in Verbindung mit Detox-Drinks vermarktet, die den Körper „reinigen“ und das Wohlbefinden steigern sollen.
Warum das problematisch ist: Zwar gibt es einzelne Studien zu bestimmten Wirkstoffen, die unter spezifischen Bedingungen Effekte zeigen – jedoch nicht in dem universellen Umfang, wie es auf Social Media suggeriert wird. Dosierungen sind häufig nicht standardisiert, und viele Produkte sind weder zugelassen noch ausreichend erforscht. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR, 2024) rät etwa explizit von der Einnahme von Ashwagandha ab, da die Wirkung nicht belegt und potenzielle Nebenwirkungen unklar sind. Ähnliches gilt für andere beworbene Mittel wie Inositol oder Phosphatidylserin. Diese ersetzen keinesfalls eine medizinisch fundierte Therapie bei tatsächlichen hormonellen oder psychischen Erkrankungen. Zudem ist der Begriff „Detox“ irreführend – der Körper entgiftet sich durch Leber und Nieren ganz ohne zusätzliche Hilfe.
2. Cortisol-senkende Diäten
Was behauptet wird: „Clean Eating“, Low-Carb oder entzündungshemmende Ernährung sollen den Cortisolspiegel stabilisieren und Symptome wie Gewichtszunahme oder Erschöpfung reduzieren.
Warum das fragwürdig ist: Eine ausgewogene, nährstoffreiche Ernährung kann natürlich das Wohlbefinden fördern. Doch eine spezielle „Cortisol-Diät“ existiert wissenschaftlich nicht. Extreme Diäten, wie sie auf Social Media oft angepriesen werden, können den Körper zusätzlich belasten und selbst zu einem Stressfaktor werden – mit gegenteiligem Effekt.
3. Morgenroutinen und „Stress-Detox“-Pläne
Was behauptet wird: Bestimmte Tagesabläufe – etwa frühes Aufstehen, kalte Duschen, Atemtechniken und Journaling – sollen helfen, Cortisol zu senken und innere Ruhe zu finden.
Warum das nicht pauschal funktioniert: Stressbewältigung durch Routinen, Bewegung oder Achtsamkeit kann hilfreich sein. Aber die Vorstellung, dass jeder Mensch durch dieselbe TikTok-Morgenroutine gesünder und entspannter wird, ist illusorisch. Wer sich unter Druck setzt, täglich perfekt „entspannt“ zu sein, erzeugt schnell das Gegenteil: mehr Stress.
4. Verzicht auf Koffein und Technologie
Was behauptet wird: Smartphones, Social Media und Koffein seien Stressverstärker – ihr Verzicht soll den Cortisolspiegel senken.
Warum das nicht falsch, aber übertrieben ist: Ein bewusster Umgang mit digitalen Medien und Reizen ist sinnvoll, ebenso wie moderater Koffeinkonsum. Aber ein pauschaler Verzicht bringt nicht automatisch hormonelle Entlastung – es kommt auf das individuelle Maß und die persönliche Stressresilienz an.
Drei häufige Fehleinschätzungen über Cortisol
Cortisol = schlecht? Ganz so einfach ist es nicht.
Oft wird Cortisol ausschließlich als „negatives Stresshormon“ dargestellt. Dabei ist es lebenswichtig: Es reguliert den Stoffwechsel, unterstützt die Immunabwehr und hilft dem Körper, mit Belastung umzugehen. Nicht „so wenig wie möglich“, sondern ein gesunder Cortisolrhythmus ist entscheidend.
Selbstdiagnosen durch Speichel- oder Urintests
Viele Detox-Influencer bewerben Selbsttests zur Messung des Cortisolspiegels. Doch diese Tests sind ungenau, da der Cortisolwert stark schwankt – je nach Tageszeit, Ernährung, Bewegung oder emotionalem Zustand. Eine seriöse Diagnostik gehört in die Hände von Fachärzt:innen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) rät von Hormon-Selbsttests ab, weil sie darüber hinaus oft fehlinterpretiert werden und ohne ärztliche Begleitung zu falschen Schlüssen führen können.
Körperliche Veränderungen allein durch Stress?
Veränderungen wie ein „Moonface“ (aufgequollenes Gesicht), starker Haarverlust oder Gewichtszunahme werden häufig allein mit hohem Cortisol erklärt. In Wahrheit deuten solche Symptome oft auf ernsthafte hormonelle oder metabolische Erkrankungen hin – und gehören medizinisch abgeklärt.
Cortisol & PCO-Syndrom – eine vereinfachte Sichtweise
Online wird oft behauptet, die Reduktion von Cortisol lindere die Symptome des Polyzystischen Ovarialsyndroms (PCOS). Zwar können Stress und Cortisol Einfluss auf den Hormonhaushalt nehmen – jedoch ist PCOS eine komplexe hormonelle Störung, die mit einer Überproduktion männlicher Hormone und oft auch Insulinresistenz einhergeht. Eine fundierte Diagnose und ganzheitliche Behandlung sind unerlässlich – Cortisol alleine ist nicht die Ursache.
Cortisol und das PCO-Syndrom
Cortisol und Gewichtsverlust: Mythos oder Realität?
Ein häufiges Versprechen, das von Influencern in den sozialen Medien gemacht wird, ist, dass eine Senkung des Cortisolspiegels zu einem sofortigen Gewichtsverlust führt. Diese Verbindung ist jedoch nicht so einfach, wie sie oft dargestellt wird. Während ein chronisch erhöhter Cortisolspiegel in bestimmten Fällen mit einer Gewichtszunahme, insbesondere im Bauchbereich, in Verbindung gebracht wird, ist die Realität komplexer. Gewichtszunahme kann durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden, darunter Ernährung,
Bewegungsmangel, genetische Veranlagung und hormonelle Ungleichgewichte. Die Vorstellung, dass allein die Senkung von Cortisol zu einem signifikanten Gewichtsverlust führt, ist irreführend und kann dazu führen, dass Menschen sich auf fragwürdige Detox-Methoden verlassen, anstatt einen ganzheitlichen Ansatz zur Gewichtsreduktion zu verfolgen.
Ernährungsexpertin Giannina Schmelling:
"Cortisol und Gewichtsveränderungen hängen tatsächlich zusammen. Doch Abnehmen ist komplexer, als es der Trend „Cortisol Detox“ suggeriert. Viele nehmen zu, weil sie ständig Diäten halten und dadurch der Grundumsatz sinkt, sie zwischen Verbot und Heißhunger schwanken, Bewegung fehlt oder weil Essen zur Emotionsregulation geworden ist. Man isst nicht aus körperlichem Hunger, sondern aus Langeweile, Einsamkeit, Geselligkeit oder weil man glaubt, den Teller immer leer essen zu müssen."
7 Maßnahmen gegen zu viel Cortisol
Die Endokrinologin Dr. Birgit Harbeck betont in der Ärzte Zeitung, dass eine „Cortisol-Entgiftung“ nicht nur überflüssig, sondern auch unmöglich ist. Der Körper reguliert den Cortisolspiegel selbstständig, und eine bewusste Entgiftung ist schlichtweg nicht notwendig. Stattdessen sollten wir uns darauf konzentrieren, gesunde Strategien zur Stressbewältigung zu entwickeln.
Um aktiv mit Stress umzugehen und das eigene Wohlbefinden zu fördern, können folgende Strategien hilfreich sein:
Regelmäßige Bewegung: Integrieren Sie Bewegung in Ihren Alltag – sei es durch Spaziergänge, Yoga oder Sport. Jede Form von Bewegung hilft, Stress abzubauen und fördert die Produktion von Endorphinen, die für gute Laune sorgen.
Achtsamkeit und Meditation: Achtsamkeitsübungen und Meditation können helfen, den Geist zu beruhigen und Stress abzubauen. Nehmen Sie sich täglich ein paar Minuten Zeit, um zu atmen und im Hier und Jetzt zu sein.
Gesunde Ernährung: Achten Sie auf eine ausgewogene Ernährung, die reich an Obst, Gemüse, Vollkornprodukten und gesunden Fetten ist. Diese Nährstoffe unterstützen nicht nur den Körper, sondern auch die mentale Gesundheit.
Guter Schlaf: Sorgen Sie für ausreichend Schlaf und eine regelmäßige Schlafroutine. Ein erholsamer Schlaf ist entscheidend für die Stressbewältigung und das allgemeine Wohlbefinden.
Soziale Kontakte pflegen: Verbringen Sie Zeit mit Familie und Freunden. Soziale Unterstützung ist ein wichtiger Faktor, um Stress zu reduzieren und das emotionale Wohlbefinden zu stärken.
Entspannungstechniken: Probieren Sie verschiedene Entspannungstechniken aus, wie zum Beispiel progressive Muskelentspannung, Atemübungen oder kreative Aktivitäten wie Malen oder Musizieren.
Stressbewältigungsstrategien entwickeln: Finden Sie heraus, welche Aktivitäten Ihnen helfen, Stress abzubauen. Das kann Lesen, Gartenarbeit oder einfach nur ein gutes Gespräch sein. Wichtig ist, dass Sie sich Zeit für sich selbst nehmen.
Fazit: Gesunder Lebensstil statt Cortisol Detox
„Cortisol-Detox“ klingt wie die schnelle Lösung für viele Alltagsprobleme. Doch die vermeintlichen Wundermittel und Routinen aus dem Netz beruhen oft auf Halbwissen, Marketing oder unklaren Daten. Anstatt uns auf fragwürdige Detox-Methoden zu konzentrieren, sollten wir uns auf die Förderung eines gesunden Lebensstils konzentrieren. Das bedeutet, Stress aktiv zu managen und auf die Signale unseres Körpers zu hören – denn ein ausgewogenes Leben ist der beste Weg, um das Wohlbefinden zu steigern.
Quellen:
https://flexikon.doccheck.com/de/Cortisol
https://www.endokrinologie.net/pressemitteilung/dge-raet-von-hormon-selbsttests-ab.php
https://www.helios-gesundheit.de/magazin/news/03/cortisol/
https://www.mdpi.com/1422-0067/23/15/8178
https://www.rupahealth.com/post/cortisol-and-pcos
https://www.ukbonn.de/gynaekologische-endokrinologie-und-reproduktionsmedizin/behandlungsspektrum/hormonstoerungen/das-pco-syndrom/
https://www.aerztezeitung.de/Wirtschaft/Mediziner-warnen-vor-Internettrend-der-Cortisol-Entgiftung-457129.html